Insektensterben: Ausmaß, Ursachen und Maßnahmen

»Mamaaaaa! Hilfeee! Da sitzt eine riesige Wespe!« Tief saß der Schreck in Kindertagen, wenn ein Insekt die Limo brummend inspizierte. Und wie faszinierend waren die vielen bunten Schmetterlinge, die im Garten von Blume zu Blume schwebten. Pfauenauge, Zitronenfalter, Streifenbläuling – die zarten Schönheiten sieht man immer seltener. Insekten, die artenreichste Gruppe aller Lebewesen, verschwinden vom Planeten.

Beispiel Schmetterlingssterben: alarmierende Zahlen

Laut einer holländischen Studie sind die Schmetterlingsarten der Niederlande in den letzten 130 Jahren um 84 Prozent geschrumpft.

 

In Deutschland starben mindestens 60 Arten von Schmetterlingen aus, knapp 500 weitere sind davon bedroht. 

Was können wir gegen das Insektensterben tun? Ein Schmetterling besucht eine Blüte

In der Fachzeitschrift Anliegen Natur wurden Anfang 2020 die Ergebnisse einer Studie zum Schmetterlingssterben in Bayern veröffentlicht.

 

Grundlage für die Untersuchungen waren Daten der letzten dreißig Jahre. In diesem Zeitraum wurden 2160 Bestandsnachweise zu neunzig verschiedenen Schmetterlingsarten angefertigt.

 

Eine aktuelle Überprüfung ergab, dass 65 Prozent der Altbestände nicht mehr nachgewiesen werden konnten. Bei Erstnachweisen, die länger als 25 Jahre zurücklagen, waren es sogar 80 Prozent. 

Rolle im ökologischen System

Die Rote Liste des Bundesamtes für Naturschutz zeigt, dass jede dritte Insektenart gefährdet oder bereits ausgestorben ist. Dabei sind Insekten immens wichtig für das ökologische System.

 

Stichwort Bestäubung:

 

Während Bienen, Schwebfliegen, Schmetterlinge und andere Insekten bei ihren Ausflügen von Blüte zu Blüte Nektar sammeln, heften sich männliche Pollen an ihr Haarkleid. Landen die Tierchen nun auf einer weiblichen Blüte oder auf einem weiblichen Pflanzenorgan (manche Pflanzen besitzen männliche und weibliche Organe zugleich), so geben sie einen Teil der Pollen an die Narbe ab.

 

Durch Insektenbestäubung wird die Vermehrung von fast 90 Prozent aller Pflanzen sichergestellt. Das entspricht einem Drittel der menschlichen Nahrungsmittel. Windbestäubung wie bei den Getreidepflanzen ist die Ausnahme.

 

In China führte das Aussterben der Bienen bereits dazu, dass mancherorts ganze Plantagen von Hand mit Pinseln bestäubt werden – eine mühsame und aufwendige Angelegenheit.

Jede dritte Insektenart gefährdet oder bereits ausgestorben

Ein Grashüpfer ruht sich auf einer Margerite aus

Auch viele Tiere sind vom Fortbestand der Insekten abhängig. Singvögel verdanken ihre Nahrung wie Beeren, Nüsse und Sämereien allein der Arbeit von Insekten. Durch ihren unermüdlichen Einsatz in Sachen Bestäubung sichern Insekten zahlreichen weiteren Tieren ihren Lebensraum. Sträucher, Bäume und Blumen dienen ihnen als Schutz und sind zugleich Nahrungsquellen – ebenso wie die Insekten selbst. 

 

Zudem werden Insekten im Bio‑Anbau als Nützlinge eingesetzt. Sie vertilgen schädliche Artgenossen und ersetzen die toxischen Pestizide, die in der herkömmlichen Landwirtschaft verwendet werden.

Woher kommt das Insektensterben?

Das Insektensterben hat nicht den einen Grund, sondern wird durch eine Vielzahl verschiedener Faktoren verursacht. In Deutschland geht man davon aus, dass fast die Hälfte des Geschehens im Inland auf die Folgen der hiesigen Agrarwirtschaft zurückzuführen ist.

 

1. Rückgang vielfältiger Strukturen durch Agrarwirtschaft

 

Ein wesentlicher Faktor ist der kontinuierliche Rückgang vielfältiger Strukturen, beispielsweise durch Monokulturen. Aufgrund niedriger Weltmarktpreise versuchen Landwirte, bei möglichst geringem Aufwand einen möglichst hohen Ertrag zu erwirtschaften.

 

So wird nach einem Jahr Mais in der kommenden Saison erneut Mais angebaut, da er profitabler ist als beispielsweise Raps oder Kartoffeln. Allerdings ist der Einsatz von Spritz‑ und Düngemitteln in Monokulturen deutlich höher als bei einem vielfältigen Fruchtwechsel. 

 

Im Zuge der sogenannten Flurbereinigung durch die industrielle Landwirtschaft wurden unzählige Flächen wie Weiden und Wiesen, Hecken und Feuchtgebiete vernichtet. Auch durch riesige Felder und den Wegfall von Ackerrainen verlieren etliche Insekten ihren natürlichen Lebensraum, da sie auf klein strukturierte Landschaften angewiesen sind – nur dort finden sie ein abwechslungsreiches Nahrungsangebot und genügend Rückzugsräume.

 

2. Versiegelung der Böden

 

Die großflächige Versiegelung der Böden durch Straßenbau und die Errichtung von Wohn- und Gewerbegebieten ist eine weitere Ursache für das Insektensterben. Anstatt bereits vorhandene, brachliegende Strukturen für neue Projekte zu nutzen, werden weitere natürliche Lebensräume zerstört.

 

Auch in Privatgärten war es lange üblich, die Böden mit Steinen zuzupflastern und das eigene Refugium möglichst akkurat zu halten – sehr zum Nachteil der Kleinlebewesen. Hier findet mittlerweile ein Umdenken statt.

 

3. Pflanzenschutzmittel und Insektizide

 

Der massive Einsatz giftiger Pflanzenschutzmittel und Insektizide gefährdet Insekten und andere Lebewesen, Wildpflanzen sowie den Menschen selbst.

 

Laut Nabu ist insbesondere der Einsatz von Neonicotinoiden hochproblematisch. Das sind Nervengifte zur Vernichtung tierischer Schädlinge. Doch derartige Insektizide töten nicht nur die »Zielorganismen«, sondern auch Insekten wie Wild‑ und Honigbienen.

 

Zudem wird diese weltweit am häufigsten eingesetzte Insektizidklasse oftmals rein prophylaktisch (vorbeugend) eingesetzt und hat im Boden eine in vielen Fällen jahrelange Halbwertszeit.

Beim Abbau des Nervengifts entstehen wiederum toxische (giftige) Abbauprodukte. 

Eine Biene inspiziert eine rosa Blüte; was können wir gegen das Insektensterben tun?

Der Einsatz von Herbiziden (Unkrautvernichtungsmittel wie etwa Glyphosat) lässt unter anderem Ackerkräuter zugrunde gehen und damit den Lebensraum, die Nahrungsquelle und die Nistmöglichkeit vieler Tiere.

 

Das Totalherbizid Glyphosat wird in Deutschland massiv eingesetzt – rund 5.000 Tonnen davon landen Jahr für Jahr auf heimischen Äckern, insbesondere vor der Aussaat. Doch auch weltweit zählt Glyphosat zu den meistverwendeten Pestiziden. 

 

Glyphosat ist mittlerweile sogar im Urin von Menschen nachzuweisen.

Laut der WHO‑Krebsforschungsagentur IARC ist es höchstwahrscheinlich krebserregend; allerdings beurteilt die IARC das generelle Potenzial zur Krebsauslösung unabhängig von der jeweiligen Dosierung. Andere Institutionen kommen zu unterschiedlichen, teilweise abweichenden Ergebnissen; bei einer Vielzahl der Akteure stehen bezüglich ihrer Einschätzungen Interessenskonflikte im Raum.  

 

Auch bei der Pflege privater Gärten wird reichlich zu Pestiziden gegriffen. In Kombination mit der oftmals sterilen Gestaltung der »grünen Oasen« sind viele Privatgärten damit weit weniger insektenfreundlich, als sie es sein könnten. Glücklicherweise findet die Problematik zunehmende Beachtung. 

 

Das betrifft auch die Baum‑ und Pflanzenpflege in innerstädtischen Bereichen. Umwelt‑ und Klimafaktoren wie Abgase und Trockenheit schwächen Bäume und Blumen. Dadurch sind sie anfälliger für Schädlinge wie Borkenkäfer, Milben und Pilze.

 

Die Bekämpfung durch Pestizide vernichtet zugleich jene nützlichen Insekten, die die Schädlinge auf dem Speiseplan haben. Daher wird zunehmend auf biologische Schädlingsbekämpfung gesetzt, etwa auf den Einsatz von Käfern im Kampf gegen Läuse.

 

4. Überdüngung

 

Auch die fortschreitende Überdüngung des Lebensraums durch Kunstdünger sowie Gülle aus Massentierhaltung ist problematisch. Davon sind Gewässer, Landschaften und sogar die Luft betroffen.

 

Durch das Übermaß an Stickstoff werden die von Natur aus nährstoffarmen Lebensräume geschädigt, auf die jedoch viele Insekten und Pflanzen angewiesen sind. 

 

5. Intensive Forstwirtschaft

 

Der Anstieg der Holzpreise führt dazu, dass immer mehr Wälder geradezu ausgeschlachtet werden – und dies in erster Linie für Holz zur Energiegewinnung. Durch die intensive Forstwirtschaft in Deutschland unter Einsatz schwerer Maschinen werden die Böden verdichtet.

 

Das zerstört den Lebensraum vieler Insekten ebenso wie der Mangel an alten Bäumen und morschem Holz. Auch andere Tiere und Pflanzen sind davon betroffen: Vögel sowie Fledermäuse und weitere Säugetiere finden immer weniger Nistplätze in Form von Baumhöhlen, wie sie nur in alten, dicken Bäumen zu finden sind. 

 

Dazu kommt der zunehmende Einsatz von Insektiziden gegen Borkenkäfer, Schwammspinner, Maikäfer und andere Insekten, obwohl es beispielsweise bei Befall mit dem Borkenkäfer völlig unschädlich wäre, die betroffenen Bäume 500 Meter vom Waldrand entfernt zu lagern. Daran scheint vielerorts kein Interesse zu bestehen, da der Einsatz von Insektiziden günstiger ist. 

 

6. Lichtverschmutzung

 

Die meisten Insekten sind nachtaktiv. Im natürlichen Lebensraum genügen ihnen Mond und Sterne zur Orientierung. Da die Tiere in der Regel vom Licht angezogen werden, umschwirren sie die künstliche Beleuchtung und werden zugleich vom grellen Licht geblendet. Schließlich sterben sie an Erschöpfung oder werden durch die Lampen verbrannt. Schätzungen zufolge betrifft dies allein in Deutschland in einer einzigen Sommernacht etwa eine Milliarde Insekten.  

Was ist gegen das Insektensterben zu tun?

Im Herbst 2018 legten Stuttgarter Wissenschaftler auf dem ersten »Internationalen Insektenschutz‑Symposium«  neun konkrete Lösungsvorschläge und Empfehlungen an die Politik vor, um das Insektensterben aufzuhalten. Das Originaldokument ist sehr lesenswert. Hier ein kurzer inhaltlicher Überblick.

  • Einschränkung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft
  • Extensivierung der Landwirtschaft
  • Erhöhung der Artenvielfalt des Grünlands
  • Pflege von Naturschutzgebieten
  • Erhöhung der Naturflächen im öffentlichen Raum
  • Lichtverschmutzung vermeiden (Vorteilhaft sind LED‑Straßenbeleuchtungen und der Einsatz von Beleuchtung mit maximaler Farbtemperatur von 3.000 Kelvin)
  • Forschungs‑ und Bildungsoffensive
  • Förderung von Wildbestäubern
  • Öffentlichkeitsarbeit

Was können Einzelne tun?

Das Insektensterben ist in der Öffentlichkeit nur ein Randthema. Das wird seiner Relevanz keineswegs gerecht. Jeder Mensch kann dazu beitragen, die Problematik in seinem Umfeld und/oder durch Engagement in Interessenverbänden bekannter zu machen. Und es gibt weitere Maßnahmen, die einfach umzusetzen sind:

  • Im Garten darf es gerne leger zugehen, denn ein kurz gemähter Rasen bietet Insekten keinen Unterschlupf. Wer auf akkurates Rasentrimmen nicht verzichten möchte, mäht bestenfalls nur einen Teilbereich. Dabei werden mit schneidenden Mähwerkzeugen (Handsense, Balkenmäher) weniger Insekten getötet als mit Rotationsklingen (Rasenmäher).
  • Zuchtpflanzen sind für Insekten wenig attraktiv. Dagegen werden mehrjährige einheimische Stauden sehr gerne besucht – insbesondere die bienen‑ und insektenfreundlichen Arten wie Schafgarbe, Glockenblume, Fetthenne, Lavendel und viele andere. Auch Wildblumenmischungen verwandeln Terrasse, Garten und selbst den Balkon in wahre Blüten‑ und Insektenparadiese.
  • Im Privatbereich auf insektenfreundliche Beleuchtung wie LED‑Leuchtmittel umsteigen.
  • Natürliche Mittel benutzen, um Pflanzen vor Schädlingen zu schützen, beispielsweise selbst hergestellte Brennessel‑Jauche. Viele sogenannte Unkräuter sind übrigens essbar und reich an Vitaminen, etwa Löwenzahn und Spitzwegerich.
  • Insektenhotels aus Holz, Rinde oder Bambus sind im Garten und auf dem Balkon eine willkommene Nist‑ und Unterschlupfmöglichkeit. Man kann die Hotels leicht selbst herstellen. Wären sie nicht auch eine tolle Geschenkidee?
  • Nicht nur im Handel, sondern auch im Privatbereich werden viele Lebensmittel weggeworfen. Besser weniger kaufen, dafür jedoch in Bio‑Qualität. Bei ihrem Anbau wird auf synthetische Pflanzenschutzmittel und künstlichen Dünger verzichtet. Gibt es kleinere Biohöfe in der Nähe, die man unterstützen könnte? Viele von ihnen fördern den Lebensraum der Insekten durch Fruchtwechsel und regelmäßige Brachflächen.  

Das Verschwinden der Insekten ist eine katastrophale Entwicklung und durch nichts schönzureden. Es ist ausschließlich menschengemacht und betrifft das gesamte Ökosystem – auch den Menschen selbst. Es ist höchste Zeit, dass nicht nur Einzelne die Tragweite des Geschehens begreifen, sondern dass auch die Politik umgehend und effektiv gegensteuert. 



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