Anrede auf der Website: per Du oder per Sie?

Stimmt es, dass beim vertraulichen Duzen die Hemmschwelle sinkt, dem Gegenüber eine Unflätigkeit an den Kopf zu werfen? Dass »Du Vollidiot!« leichter gesagt ist als »Sie Depp!«? Mag sein. Mich würde der Umgang per Sie allerdings nicht davon abhalten, unter berechtigten Umständen ein Schimpfwort abzufeuern, wenn ich es denn wollte.

Du oder Sie – welche Anrede passt wann auf eine Website?

Im Gegenteil: Gerade die Kombination aus förmlicher Ansprache und harscher Titulierung kann dem Gesagten einen eleganten Nachdruck verleihen.

 

»Mit Verlaub, Sie sind ein Vollidiot!« – hat das nicht etwas Souveränes, Glaubwürdiges? Scheint es nicht weit weg von einer Meinungsäußerung, sondern vielmehr eine nicht anzuzweifelnde Feststellung zu sein? Darauf soll das Gegenüber erstmal kontern!

 

»Beweisen Sie es!«wäre eine erheiternde Antwort. Befördert das Siezen womöglich die Disziplin des schönen Streitens und Beleidigens?

 

»Du Vollidiot« dagegen zählt fast schon zur Umgangssprache, zwei kraftlose Wörtchen ohne jede Resonanz.

Locker oder seriös auf Knopfdruck?

Dass Beleidigungen per Sie viel gepflegter ausgesprochen werden können als beim fast schon kindischen Duzen, scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben. Oder es spielt eine untergeordnete Rolle. Denn noch immer gilt das Sie als respektvoller, seriöser und  kompetenter. Auch im Netz. Einerseits durchaus berechtigt; vom Finanzamt geduzt zu werden, wäre ein wenig bizarr. Und Anbieter mit vorwiegend älterem Klientel verkneifen sich das kumpelhafte Du ebenfalls  – allerdings mit abnehmender Tendenz.  

 

Doch auch Leute mit fragwürdigen Absichten greifen zur förmlichen Anrede, um sich einen seriösen Anstrich zu verpassen. Inhaltsfreie »Erfolgsratgeber«, die zu erklecklichen Summen verschachert werden sollen, gehen bei Anrede per Sie einfach reibungsloser über den Ladentisch, so scheint man anzunehmen. Vielleicht stimmt das sogar.

 

Das Du im Netz wird dagegen mit Nahbarkeit und sympathischem Auftreten assoziiert. Auch das ist in manchen Fällen und Branchen angemessen. Bei Lifestyle‑Produkten für junge Leute und Bikerklamotten etwa würde das Sie fast schon befremdlich wirken. Zumal hier meist auch in analogen Shops das Du an der Tagesordnung ist. 

 

Allerdings ist die Anrede per Du oder Sie kein Garant für die erwünschte Wirkung. Auf mich wirkt ein Anbieter nicht seriöser oder kompetenter, nur weil er mich siezt. Und eine Extraportion Respekt gibt’s dafür auch nicht.

 

Ebenso will sich kein generell locker‑lässiger Eindruck einstellen, nur weil das Gegenüber öfter mal ein Du fallen lässt. Und das auch noch via Bildschirm.

Allein der Inhalt macht's

Die Anrede kann einem Auftritt allenfalls einen oberflächlichen Anstrich verpassen, aber niemals über die Qualität der Inhalte hinwegtäuschen.

 

Entscheidend sind:

 

    • inhaltliche Relevanz

    • wahrgenommene Kompetenz

    • Stil und Tonfall

    • Lesbarkeit/Lesefluss 

    • Atmosphäre, Vergnüglichkeit, Spannung

    • wahrgenommene Authentizität 

 

Selbst wenn manche User zarte Vorschusslorbeeren infolge der vertraulichen Anrede verteilen: Werden sie im Anschluss mit verbalem Einerlei ohne inhaltliche Relevanz geplagt, so ist der »freundschaftliche« Kontakt im Nu gekündigt.

 

Erst recht, wenn der Verfasser allzu plumpe Vertraulichkeit an den Tag legt in der Annahme, er hätte der lieben Leserschaft erfolgreich suggeriert, er sei deren allerbester Kumpel (Klick hier! Kauf da! Im Dutzend billiger heute NUR für dich! ... und all das nur noch eine Stunde). 

 

Fast schon peinlich ist das Duzen in Kombination mit einem gestelzten Tonfall. Der löst allerdings bei jeder Anrede Fluchtimpulse aus. Im Verbund  mit dem Siezen soll damit wohl Seriosität vermittelt werden, doch leider geht dieser Schuss im 21. Jahrhundert nach hinten los.

 

Wobei es auch unbeabsichtigt sein kann, sich ein wenig affektiert auszudrücken. Oder ein Zeichen der Unsicherheit: Man will ja nichts falsch machen. Dann ist es ratsam, einfach mal öfter frei Schnauze zu schreiben und nicht so viel über die Wirkung nachzudenken. Schreiben, als ob es niemand liest. Nacharbeiten kann (und sollte) man immer!  

Du oder Sie – was passt denn nun zu mir?

Lange Rede, kurzer Sinn: Wie hält man es nun mit dem Duzen oder Siezen? Vielleicht am besten den Bauch entscheiden lassen. Schreiben Sie doch mal einen Text in zweifacher Ausführung, jeweils in der Du‑ und Sie‑Version. Was fühlt sich besser an? Natürlicher und stimmiger?

 

Mancherorts wird dazu geraten, sich Entscheidungsfragen zu stellen, etwa:

  •  Welche Anrede erwartet mein idealer Kunde?
  • Wie will ich wahrgenommen werden?

Ich persönlich halte das für wenig zielführend, denn primär sollte man sich selbst mit der gewählten Anrede wohlfühlen, schließlich wird man sie fortan oft benutzen. Nervt es einen insgeheim, von anderen ungefragt geduzt zu werden, dann bringt die vermeintliche (!) Kundenorientierung per Du gar nichts, im Gegenteil.

 

Und selbst der »ideale Kunde« erwartet ein wenig mehr als die Anrede, die ihm genehm ist – womöglich ist sie ihm ohnehin schnuppe, denn er will seine Vorteile, Produkte und Problemlösungen.

 

»Wenn dein genialer, hochwertiger Sandwichtoaster entgegen deiner warmen Versprechungen nach dem dritten Snack in Einzelteile zerfällt, dann wars das mit uns, meine Liebe, da kannst du dich noch so freundlich per Du für den kleinen Irrtum entschuldigen.«

 

Den Ansatz »Wie will ich wahrgenommen werden?« empfinde ich unter dem Strich einfach als Holzweg. Abgesehen davon, dass diese Fragestellung mit der in den 20er Jahren so vielgepriesenen Authentizität rein gar nichts mehr zu tun hat, ist es ohnehin aussichtslos, sich zu verstellen. Kompetenz kann man nicht simulieren und ständig übertrieben freundlich aufzutreten ist auch nicht eben glaubwürdig. 

 

Mir wäre das auch viel zu anstrengend. Und wie merkwürdig wäre mein Geschäftsmodell, wenn ich –  immerhin die Inhaberin meines Ladens – mit meiner echten Persönlichkeit meinen Kunden nicht genügte, sondern in eine Rolle schlüpfen müsste? Außer beim Film und Theater inakzeptabel. Zudem bedient die Frage den Irrtum, die Anrede würde die Wahrnehmung der eigenen Person wesentlich beeinflussen. Dem ist eben nicht so, allenfalls für die ersten Minuten und selbst dann nur marginal. 

Social Media mit »eigenen« Regeln

Es kann auch eine Rolle spielen, ob Sie auf Social Media präsent sind. Dort überwiegt das Du. Tatsächlich las ich kürzlich, wie ein User dem anderen drohte, er würde ihn blockieren, käme der ihm nochmals mit der unverschämten Siezerei. War sehr erheiternd, doch es ist schon ratsam, sich das im Vorfeld zu überlegen.

 

Denn es kann befremdlich wirken, ein und dieselben Kunden auf der Website zu siezen, auf Social Media jedoch zu duzen. Rechnen Sie bei diesem Vorgehen mit entsprechend spöttischer Resonanz, etwa in der Telefonzentrale:

Bei der Rufannahme leiern Ihre Mitarbeiter den ebenso üblichen wie überflüssigen fünf- bis fünfzehnminütigen Einleitungstext herunter und beenden ihn mit dem wohlbekannten »Was kann ich für Sie tun?« Irritiertes Schweigen in der Leitung. »Janine? ... hallo, Janine? ... waren wir nicht eben auf [Plattform Ihrer Wahl] noch per Du ...?«

 

Auch wenn Sie mit Ihrem Unternehmen noch nicht auf Social Media vertreten sind, ist es ratsam, die Anrede vorab durchzuspielen. Man weiß ja nie, welche Aktivitäten man womöglich noch in Angriff nimmt. Dann haben Sie es leichter, wenn Duzen ohnehin der übliche Umgangston ist. Ich hätte allerdings auch kein Problem damit, per Sie auf Social Media aufzutreten. Und würde mich gerade auf den User freuen, der mich wegen der unverschämten Siezerei blockieren wollte. 

 

Weshalb ich mich für das Sie entschieden habe? Weil ich durch das Du nicht den Eindruck erwecken möchte, ich wolle damit Vertrautheit suggerieren, um die Leserschaft »ins Boot zu holen« oder Ähnliches. Zudem fände ich es merkwürdig, die Anrede vorzugeben – könnte ja sein, dass wir im echten Leben einmal miteinander zu tun haben. Da ist dann immer noch genügend Gelegenheit, aufs Du umzusteigen – und zwar aus beidseitiger Absicht. Denn das Du ist immer eine Einbahnstraße.

 

Außerdem mag ich es, die Anrede per Sie mit einem lockeren Tonfall zu kombinieren. Texte verfasse ich sowohl per Du wie auch per Sie – was bei Lesern wahrgenommen wird, ist letztlich die Haltung, die man zu ihnen hat. Und die Inhalte. Beides hat mit Du oder Sie nichts zu tun.



Mehr Magazin‑ und Blogartikel:

Die Lüftung des Das-Dass-Geheimnisses
Die wilde Welt der Auslassungspunkte in der Orthografie
Mehr Erfolg und Effizienz mit der SWOT-Analyse

Organisation und Kreativität mit dem Bullet-Journal
7 Tipps zum Entrümpeln
Ideen für Tracker und Listen im Bullet-Journal

5 Tipps zum Anbau von Balkon-Erdbeeren
Leckere Cupcakes mit Früchten
Patisson-Kürbisse

7 Tipps für traumhaften Urlaub am Tegernsee
Magische Momente im Freizeitpark Efteling
Die mittelalterliche Reichsburg Cochem


Sie wünschen sich schöne und interessante  Texte für Ihren Blog, Ihr Magazin und andere Publikationen? Soll Ihre Website ansprechend betextet werden oder haben Sie sonstigen Bedarf rund ums Schreiben? Melden Sie sich gerne unverbindlich!